13. Januar 2016

Abwege

Abwege

 

Eine Stunde war er weg gewesen. Jetzt saß er wieder an der Theke. Der Mann hinter der Theke schien seine Abwesenheit gar nicht bemerkt zu haben, eben so wenig wie das Veilchen, das nun sein rechtes Auge zierte. Jedenfalls ließ er sich nichts anmerken und fragte nur, ob er noch ein Bier wollte. Darüber war er ganz froh und sagte „Ja, warum nicht. So jung kommen wir nie wieder zusammen.“

Am frühen Abend war er in die Kneipe gekommen. Anfangs war alles in Ordnung gewesen, doch dann peinigte der Lärm der Stereoanlage sein Gehör. Das Wummern der Bässe ließ seinen Bauch vibrieren, das Gekreisch der Gitarre riss sein Trommelfell in Tausend Stücke und das unverständliche Gestöhne und Geplärre einer Tussi, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die Menschheit zu malträtieren, ging ihm gewaltig auf die Nerven. Er litt, seit der Wirt beschlossen hatte, seinen Gästen das Potential seiner Stereoanlage mit diesem Superverstärker vorzuführen.

„Stell doch mal leiser. Man versteht sein eigenes Wort nicht!“

Diese Kneipe war kein Ort, um gemütlich ein Bier zu trinken, um dazusitzen und zu reden oder auch nur, um die Zeit totzuschlagen. Sie war ein Durchlauferhitzer oder ein Abklingtank für das schräge, manchmal schäbige, aber immer interessante Publikum. Typen kamen, lautlos oder mit Hallo, allein oder in Pulks, tranken etwas oder auch nicht, blieben eine Weile, um dann wieder lautlos oder mit erneutem Hallo zu verschwinden. An diesem Abend allerdings tauchten nicht viele auf. Es war Montag, tote Hose, typisch für den Wochenanfang.

„Wenn es dir nicht passt, kanns’te ja gehen. Niemand hält dich.“

Der Mann hinter der Theke sah aus, wie manche seiner Gäste, ungepflegt und schmuddelig, mit fettigen Haaren, die vermutlich schon lange kein Wasser mehr gesehen hatten, mit gelblicher Hepatitis-Gesichtsfarbe und einem struppigen Fünf-bis-zehn-Tage-Bart. Das Aussehen hätte schon gereicht, um ihn zum Unsympath zu machen, aber er war zudem noch unfreundlich und unhöflich.

„Dem ist doch scheißegal, was die Gäste wollen“, dachte der frustrierte Gast und nippte an seinem Bier. „Das schert den doch nicht. So einer wie der, macht seinen Job und ist froh, wenn er die letzten Penner um sechs Uhr in der Früh rauswerfen und den Laden dichtmachen kann.“

„Kanns’te nicht wenigstens was anderes auflegen, als nur diesen Scheiß?“

„Mir gefällt’s.“

Er nippte wieder an seinem Bier. Es schmeckte schal und abgestanden. Obwohl das Glas noch halb voll war, schob er es weit von sich.

„Gib mir noch eins!“

Er studierte den Spruch auf dem verwaschenen, grauen T-Shirt seines Gegenübers, während der den Bierhahn betätigte. „Lieber Schamlippen küssen als Schlamm schippen müssen.“

„Typisch für diesen Wichser, aber gar nicht mal so doof“, fand er.

Ein weiterer Strich kam auf den Bierdeckel.

Die Luft war zum Schneiden. Trotz der wenigen Gäste war die Bude voller Rauch, voller Gerüche, voller Gesprächsfetzen. Ein paar einsame Typen hier, ein Paar zweisamer Männer in der Ecke, zwei, drei verliebte Heteropärchen. Die Tür ginge auf, ein paar tätowierte Glatzen mit Springerstiefeln stolperten in den Raum und wollten sich an einem Tisch niederlassen, wurden jedoch von dem Schamlippenküsser mit scharfen Worten wieder hinausgescheucht. Sie gingen, seltsamerweise ohne aufzumucken. Wenig Frauen. Hin und wieder schaute eine rein, meistens nichts Aufregendes, aber ab und an doch auch eine Attraktive. Frauen blieben aber nie lange, nur auf einen Kaffee oder einen schnellen Drink. Zu wenig Zeit sie anzuquatschen. Professionelle bei einer Arbeitspause? Hier suchten sie ihre Kunden jedenfalls nicht. Eine, die sich neben ihn gestellt hatte, hatte er versucht anzumachen, mit der darf-ich-Ihnen-einen-Drink-spendieren-Masche. Sie hatte ihn blöde angeglotzt, etwas Unverständliches gesagt und sich zwei Meter entfernt platziert. Er war irritiert, bis ihm aufging, dass sie kein Deutsch verstand und vermutlich auch noch eine Muslimin war, obwohl sie kein Kopftuch trug, aber sonst sah sie jedenfalls ganz danach aus.

Ein anderer Versuch ging auch schief, als er mit einer coolen Schwarzledernen anbandeln wollte. Sie war schon da gewesen, als er gekommen war und sie war ihm gleich aufgefallen, wegen ihrer langen, pechschwarzen Haaren, wegen ihres geilen schwarzen Lederoutfits mit viel nackter, heller Haut, zwischen Minirock und Miniwestchen, einschließlich des gepiercten Nabels. Sie war nicht unattraktiv, mit ihren langen, künstlichen Fingernägeln, den diversen Ringen, Armreifen und Kettchen, ihrem knallrotem Mund und dem lila Lidschatten. Und natürlich wegen ihrer langen Beine mit den Netzstrümpfen und den Schaftstiefeln mit atemberaubenden Absätzen, die sie so in Stellung brachte, dass man zwangsläufig drauf starren musste. Ein attraktives Weib, konstatierte er, nur ihr Gesicht war ziemlich verbraucht und mitgenommen. Es hat bestimmt mal hübsch ausgesehen, dachte er. Aber jetzt? Zuviel Alkohol, Hasch, Nikotin, Speed oder was es da alles gab, vermutete er. Sie saß allein an einem kleinen Tisch in einer Ecke, die nackten Beine leuchteten, vor sich ein großes Cocktailglas, an dem sie gelegentlich nippte. Sie gähnte und schaute angestrengt immer in dieselbe Richtung, nicht in seine. Sonst tat sie nichts. Ihr war langweilig, davon war er überzeugt. Sie wollte Gesellschaft, auch das war klar. Sie wäre bestimmt froh, wenn er sich ihrer annähme. Solche Frauen warteten doch auf ihn. Schließlich gar er sich einen Ruck, stand auf, durchquerte das ganze Lokal, um zu ihrem Tisch zu gelangen. Jetzt erst, als er schon vor ihr stand und gerade anfangen wollte, anzubandeln, sah er, wo sie hinblickte, verharrte und orientierte sich erst einmal. Um die Ecke war ein kleines Nebenzimmer, die Tür weit auf, in der Mitte des Raums ein Billardtisch. Zwei Typen spielten. Der eine klein mit öligen Haaren und wieselndem Blick, der andere groß, fett, träge, mit spiegelnder Glatze und deutlicher Wampe. Er fand Männer, die an allen möglichen Körperteilen Tattoos haben, affig. Diese beiden waren voll davon, an Händen, Unterarmen, im Nacken und sicher auch dort, wo man es jetzt nicht sah. Der Große stellte einen Brillant in einem Ohrläppchen zur Schau, der Kleine hatte glänzende Perlen in beiden Nasenflügeln. Er fand auch Männer mit Schmuck affig.

Er schaute den Spielern eine Weile zu, taxierte sie ein, überlegte hin und her, beschloss dann, sich der Lady doch zu nähern und sie anzubaggern. Vielleicht mit „Ha’m se mal ne Zigarette für mich“ oder „Was macht denn eine so schöne Frau am späten Abend an so einem verrufenen Ort? Darf ich Sie auf ein Glas einladen?“ Doch in diesem Moment war das Match zu Ende oder unterbrochen. Jedenfalls kam der mit der großen Wampe, ein richtig fetter, widerlicher Kotzbrocken, auf die Schwarze zu, umfasste lässig ihre Taille und dröhnte: „Hast du dich amüsiert, Kleine?“ Die Entzückung sah man ihr an, dann gähnte sie wieder. Dann stand sie auf und beide gingen, er den tätowierten Arm um ihre doch nicht so schmale Taille, dicht an ihm vorbei zur Theke. Er stand ihnen ein wenig im Weg und sie mussten einen Bogen machen. Vermutlich deswegen glotzten sie ihn mehr blöde als böse an.

Missmutig kehrt er zur Theke zurück. Neues Bier, neues Glück. Aber erst mal das kleine Glück genießen. Er bestellte sich Senfeier oder waren es Soleier mit Senfsoße und Kroketten? Jedenfalls schmeckte das Zeug grässlich. Er hatte so etwas vorher noch nie gegessen und konnte eigentlich nicht beurteilen, ob es immer so scheußlich schmeckte oder nur hier und heute.

Zwei oder drei Männer hatten sich im Laufe des Abends neben ihn gesetzt oder gestellt. Der eine wollte nur quasseln und quasseln, das war noch, bevor der Kneipier die Idee hatte, seine Stereoanlage voll aufzudrehen und nur seichte Musik durch den Raum waberte. Von seinen Geschäften, von seiner Frau, von seinem Auto. Obwohl er ein paar Bier spendierte, ging ihm das Gelaber auf den Geist. Zum Glück kam ein weiterer Gast und setzte sich neben den Laberer. Jetzt musste der sich den ganzen Sermon anhören. Der andere Gast, der sich später neben ihn gesetzt hatte, war ein Brummbär, der vor sich hinstarrte, kein Wort sagte und keine Anstalten machte, auf ein Gespräch einzugehen. Aber das war nach der Stereosache und wäre deswegen schon aus rein akustischen Gründen sowieso erfolglos gewesen. Also blieb für das aktive Amüsement nur der Daddelautomat. Ein Euro rein, noch einer. Die Bilanz nach ein paar Stunden war dieselbe, wie in einer staatlichen Spielbank. Neunzig Prozent des Umsatzes behält die Bank. Auch die mediale Berieselung war öde. Auf dem großen Flachbildschirm an der Wand wechselten sich diverse Sportprogramme ab. Ein Drittligist aus Portugal spielte gegen einen Viertligisten aus Estland. Eurosport! Kickboxen aus USA oder Thailand, alles abgekartetes Spiel! Pferderennen in Bangalore. Wo war das nochmal? Jedenfalls konnte man online und per Handy wetten.

Die Kneipe war Scheiße und er war hier nur gelandet, weil er keinen Bock hatte, allein in diesem trostlosen Hotel zu sitzen und weil das Hotel gleich um die Ecke war und weil es regnete und er keine Lust hatte, eine andere Kneipe zu suchen und weil die meisten heute ohnehin geschlossen waren und weil und weil. Einen richtigen, triftigen Grund gab es nicht.

 Das frische Bier schmeckte deutlich besser als das abgestandene, aber sein Bauch war voll, seine Geschmacksnerven konnten kaum noch etwas unterscheiden. Er griff nach der Zigarettenschachtel neben dem Bierdeckel. Leer. Er zerknüllte sie.

„Gibt es hier Zigaretten?“

„Unten im Klo ist der Automat.“

Bei den Worten spürte er plötzlich Druck auf der Blase. Er stützte die Arme auf die Theke, um sich hochzuwuchten und stieg, leicht schwankend, die Treppe hinunter.

„Ich saufe zu viel“, dachte er. „Das ist nicht gut, aber was soll’s, besser als gar nicht mehr saufen können.“

Im Klo stank es nach Pisse und Pinkelsteinen. In den Urinalen standen kleine Tore, die Bälle sollte man mit seinem Strahl ins Tor kicken, damit man nicht zu viel Pisse neben den Becken ablud. Es wollte und wollte nicht kommen. Druck war doch da, verdammt. Er ächzte und drückte. Ein anderer Typ öffnete die Tür, stellte sich neben ihn. Wenn beim Pinkeln einer neben ihm stand, ging schon gar nichts mehr. Also Schluss machen und hochgehen? Nein, dann musste er gleich wieder runter. Er musste ja, der Druck war echt. Er wartete. Endlich war der Typ neben ihm fertig. Warum brauchte der nur so lange um die letzten Tropfen umständlich von seinem Schwanz zu schütteln und die Hose zuzuknöpfen? Dabei schaute er auch noch mitleidig zu ihm hin. Eine Schwuchtel? Aber er sah gar nicht danach aus.

„Hau bloß ab, du Arsch“, dachte er und fing wieder an zu drücken.

Endlich! Der Ball flog mehrfach in das Tor.

Wo war denn hier der Zigarettenautomat? Deswegen war er doch gekommen. Neben dem Handwaschbecken hing nur der mit den Kondomen. Im Vorraum sah er auch keinen. Da war zwar viel Krimskrams, Garderobenständer, Postkartenständer, ein Schrank, Stühle, ein Sofa, aber kein Automat. Hatte er ihn übersehen, als er die Treppe heruntergestiegen war? Er stieg sie wieder hoch. Nichts. Den Wirt, diesen Arsch, wollte er nicht danach fragen. Er hätte ihn für bekloppt gehalten. So stieg er wieder die Treppe runter. Links Männerklo, rechts Frauenklo. Wo, um alles in der Welt, könnte der Scheißautomat versteckt sein? Er stierte in die Runde. Die werden den doch nicht ins Frauenklo gehängt haben? Er öffnete die Tür, machte einen Schritt in den Vorraum. Eine Frau stand am Waschbecken.

„Du Spanner, mach, dass du raus kommst“, kreischte sie.

„Tschuldigung, ich wollte nur…“.

„Ich weiß, was du wolltest. Aber nicht hier. Nicht, wenn ich hier drin bin.“

Aber Halt, dahinten war ja noch eine dritte Tür, mit dem Hinweis „Privat“. Vielleicht war er dahinter? Sie war offen und führte in einen langen Gang. Er tastete nach dem Lichtschalter. Der Gang war leer. An seinem Ende, eine weitere Tür. Auch die unverschlossen. Er befand sich im Untergeschoss eines Treppenhauses, vermutlich im Nebengebäude. Er stieg die Treppe hoch. Im Erdgeschoss eine Etagentür mit Milchglasscheiben. Sie war verschlossen. Ein Schild verkündet, dass hier eine „Venus – Film und Video GmbH&Co“ ihren Sitz hat. Im ersten Stock war die Etagentür offen. Auch hier ein Schild „World-Fun-Private-Studio“. Er betrat wieder einen Flur. Türen links, Türen rechts. Manche waren halb offen, aus ihnen fiel Licht in den Flur. Aus manchen Räumen drang Musik, aus anderen ertönten Stimmen, Gesprächsfetzen, Gelächter. Eine Frau sang.

Neugierig ging er zur ersten Tür und schaute in einen kleinen Raum mit grellroten Tapeten. In der Mitte ein großes Bett mit einer geblümten Bettdecke. Auf dem Bett kniete eine halbnackte, kompakte Frau und streckte ihm ihren fetten Hintern zu. Sie bewegte ihn rhythmisch hin und her, auf und ab. Dazu redete sie in einer unverständlichen Sprache. Sie war doch allein in dem Raum. Mit wem redete sie? Für wen machte sie diese aufreizenden Bewegungen? Die Erklärung lieferte der Computer. Auf einem Tisch am Kopfende des Betts stand der Monitor, daneben eine kugelförmige Webcam mit rot blinkender Leuchtdiode. Die Tastatur hatte die Frau vor sich auf dem Bett liegen und während sie mit ihrem Hintern wackelte und mit der einen Hand fortwährend ihren üppigen Busen betastete, ihn streichelt und ihn fast, aber nur fast, aus den lila Körbchen hob, hackte sie mit der anderen wie wild auf die Tasten ein. Das starre Glasauge der Webcam glotzte die Frau an. Es erfasste alles, was sich auf dem Bett abspielte.

Er ging weiter, zur nächsten halb geöffneten Tür. Fast dasselbe Bild. Diesmal saß die Frau auf dem Bett und starrte auf den Monitor. Er konnte nicht erkennen, ob gelangweilt oder gespannt. Sie hatte ein Headset mit Mikrofon und Kopfhörer aufgesetzt und wartete, dass sich irgendetwas tun würde, damit sie auch etwas tun könnte. Vermutlich hatte sie gerade keine Kundschaft. Sie war blond und jung, ihre Figur ansprechend. Das einzige Kleidungsstück war ein rotes Negligé, ein Hauch von Nichts, darunter ein roter BH und vermutlich ein Minislip, den sah er aber nicht.

 Bei der dritten Tür sah er gleich zwei Frauen in Aktion. Sie waren anscheinend mitten bei der Arbeit, lachten, wälzten sich auf dem Bett, streichelten sich gegenseitig. Eine war ohne BH und fummelte ständig an ihren nackten Brüsten herum. Die andere tippte derweil Botschaften in die Tastatur. Beide glotzten sich selbst fasziniert auf dem Monitor an. Die Webcam erfasste jedes Detail. Ihr Treiben kam anscheinend bei den anonymen Zuschauern an. Es piepte laufend bei dieser Peep-Show, jeder Piep ein Euro. Das Piepen war jedoch kaum zu hören, weil ein Ghettoblaster den Raum mit seinem Getöse erfüllte, nicht so laut, wie in der Kneipe, aber immerhin.

Bei der vierten offenen Tür war dann Schluss mit Voyeurismus. Als er den Kopf in das Zimmer streckte, schaute ihn die Frau direkt an. Ein älteres Semester, mit üppiger Oberweite, fettem Bauch und wurstförmigen Armen und Beinen. Sie war gut beieinander und, wie ihre Kolleginnen, nur in Unterwäsche, diesmal schwarz und äußerst knapp. Ihr weißes Fleisch quoll über die Ränder des Slips und des BHs. Der Bauch war genauso ausgeprägt wie der Busen. Der Computer war ausgeschaltet und er witterte eine Chance, doch noch zu seinem Ziel „Nähe, Nähe, Nähe“ zu kommen. Er räusperte sich und fragte unverblümt „Bist du frei? Wollen wir? Wie viel für wie lange?“ Sie schaute ihn böse an und gellte dann sehr laut: „Hau ab, du Hurenbock.“ Dann stand sie mühsam auf und wackelte so schnell wie sie konnte zur Tür und schmiss sie ihm vor der Nase zu. Durch den Schrei und den Krach waren ein paar Mitmenschen neugierig geworden. Türen öffneten sich. Halbnackte Frauen schauten in den Gang. Manche lachten, andere schimpften. Er trat angesichts dieser geballten weiblichen Macht lieber den Rückzug an und ging schwerfällig, immer noch leicht schwankend, zur Etagentür zurück. Als er sie erreicht und schon geöffnet hatte, drehte er sich noch einmal um, warum, wusste er später nicht zu sagen. Vielleicht, um sich mit einem halbgaren Scherz zu verabschieden oder um zu zeigen, dass er keine Angst hatte. Doch das war ein Fehler. Ein Schuh traf ihn direkt am rechten Auge. Das Veilchen begann sofort zu blühen. Er machte rasch die Tür zu, polterte die Treppe hinab in den Keller. Die Tür, die in den Gang und somit zurück in die Kneipe führte, war verschlossen. Sie hatte nur einen Knauf, keine Klinke. Nichts zu machen, er rüttelte vergeblich. Also ins Erdgeschoss, durch die Haustür hinaus ins Freie. Doch auch die war verschlossen. „Das gibt es doch nicht“, dachte er, „raus muss man doch immer kommen. Fluchtweg und so.“

Aber die Tür war zu, auch hier kein Entkommen. Er setzte sich auf eine Treppenstufe und wartete, dass die Frauen kämen, um ihn weiter zu verfolgen und zu peinigen oder dass ein Hausmeister oder ein Beschützer oder einer der Zuhälter, die es bestimmt gab, auftauchen und ihn fertig machen würde. Und er dachte an den Wirt, der ihn für einen Zechpreller halten musste, weil er über das Klo die Flatter gemacht hatte, ohne zu bezahlen und das war ihm peinlich, er war ein ehrlicher Mensch. „Sorry, du Arsch, aber im Moment kann ich nicht anders“, dachte er.

Irgendwann kam eine der Damen. Sie hatte einen billigen Regenmantel an und sah wie eine ganz normale Hausfrau aus. Sie schaute ihn seltsam an, ließ ihn aber, ohne eine Frage zu stellen auf die Straße. Vermutlich hätte sie ohnehin kaum Deutsch gesprochen.

 

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