1. Von Chennai nach Alleppey
Ich sitze auf der Terrasse meines komfortablen Bungalows, trinke Kaffee und versuche eine erste Zwischenbilanz meiner Indienreise zu ziehen. Es ist bewölkt, schwül-warm und immer wieder fallen ein paar Tropfen vom Himmel. Dennoch ist es hier viel angenehmer als im klimatisierten Auto, dem bevorzugten Aufenthaltsort der letzten Tage. Bei der Durchquerung Südindiens, von Chennai im Osten bis Alleppey im Westen, fallen viele Kilometer an und jeden Tag kommen neue Eindrücke hinzu, neue Städte und Landschaften, durch die die Straße führt und die Highlights der Reise, die Tempel, die man aufsucht. Jetzt, Ende November, ist die Regenzeit an sich zu Ende und die touristische Hauptreisezeit hat begonnen, doch in Turtle Beach, dem Ressort am Strand von Mararikulam in Kerala, merkt man davon noch nicht viel. Nur einige wenige Häuser sind belegt, im Restaurant herrscht gähnende Leere und auf den verschlungenen Wegen durch das üppig begrünte Gelände sieht man fast nur das Personal in seinen blauen Anzügen und Kleidern kehren und putzen und warten. Aber diese Situation hat für den Gast auch ihre angenehmen Seiten. So hat der Koch beispielsweise viel Zeit und Muße auf Sonderwünsche einzugehen und bereitet eine wunderbare Scholle im Gemüsemantel zu, die nicht auf der Speisekarte steht.
Das Meer hinter dem schmalen Streifen mit den Uferpalmen rauscht, ein Wasserbüffel brüllt, Dohlen kreischen, sie kreischen den ganzen Tag, ansonsten ist es ruhig, keine Musik, kein Geplärre, kein Verkehrslärm. Der selbst zubereitete Kaffee, Nescafe Classic Made in India, aus kleinen rot-schwarzen Beuteln, net-weight 0,8 g, schmeckt gut, besonders wenn man ihn mit dem „every day dairy creamer“ hell macht. Das einzige Problem, jedes Mal wenn ich einen der blauen Milchpulverbeutel öffne, verstreut sich ein Teil des Inhalts auf die Untertasse, den Tisch und die Finger und hinterlässt klebrige Spuren. Ich habe in all den Tagen leider keine Technik entwickelt, dieses tägliche kleine Desaster zu vermeiden, aber die britische Sitte, in den Hotelzimmern Möglichkeiten für die Tee- oder Kaffeezubereitung zu bieten, ist ein äußerst angenehmes Überbleibsel der Kolonialzeit. Ein Überbleibsel, wie andere Dinge und Einrichtungen auch, die Indien funktionsfähig erhalten, an erster Stelle sei die weite Verbreitung der englischen Sprache genannt, die dem Touristen eine Kommunikation mit fast jedem ermöglicht.
Die Häuser des Ressorts sind groß und geschmackvoll eingerichtet. Im Wohnraum stehen 2 king-size Betten und die Dusche ist ungewohnt eingerichtet, das Tageslicht fällt durch ein Glasdach auf schneeweiße Marmorbrocken, in deren Mitte ein grünes Bäumchen wächst. Verzichten könnte ich dagegen auf den großen Flachbildschirm. Von den etwa 50 Programmen ist eines bescheuerter als das andere, ewige Diskussionsrunden, Politikerreden, Tempelfeiern, Shows, Soaps und Bollywoodfilme, die man nicht versteht und die den Appetit auf Glotze vergehen lassen. Verzichten kann ich künftig wohl auch auf Ayurvedamassagen. Ein junger Mann walkte mich ordentlich durch, aber das viele, glitschige Öl auf der Plastikliege empfand ich eher als abstoßend denn als anregend oder entspannend, jedenfalls war ich froh, als die Prozedur vorbei war, aber ich habe es wenigstens einmal ausprobiert. Hier, im Turtle Beach Ressort, zeigt sich Indien von der de luxe Seite, Indien für reiche Touristen und reiche Inder, für normale indische Verhältnisse sind die Annehmlichkeiten unbezahlbar.
Diese normalen indischen Verhältnisse beginnen hinter dem Zaun, der das Ressortgelände vom Strand trennt. Das Gartentor wird von einem Pförtner bewacht, der ungebetenen Gästen den Zutritt verwehrt und zugleich darauf achtet, dass die gebetenen in der Wildnis nicht verloren gehen. Von jedem Gast erfragt er die Zimmernummer und notiert sie in einer Kladde und will sie erneut wissen und erneut notieren, selbst wenn man nur mal kurz in das Haus zurück geht, um ein Buch zu holen. Viel schreiben muss er nicht und auch der freundliche Bademeister, der beflissen Liegen aufstellt, Hängematten an Palmstämme bindet und Handtücher stapelweise heranschleppt hat viel, viel Zeit für ein Schwätzchen. Die Wildnis, das ist der kilometerlange Strand aus feinstem Sand, das warme Wasser des Indischen Ozeans mit einer sanften Dünung und die endlosen Reihen der Kokospalmen hinter dem Sandstreifen. Ihre Früchte sind reif und reife Früchte fallen zu Boden, neben vielen Palmen liegen Nüsse. Als ich, in meiner Hängematte liegend, nach oben blinzele und direkt über meinem Kopf in 5 Meter Höhe eine ganz Traube reifer Nüsse sehe, fällt mit die Geschichte von dem Mann mit der Eichel und dem Kürbis ein und ich wechsle schnell meinen Aufenthaltsplatz.
Die nicht vorhandenen Touristen können sich nicht an den Strand verirren, aber menschenleer ist er trotzdem nicht. Wenn man den abgesteckten Hotelbereich verlässt, trifft man auf die Fischer. Ein Duzend Männer zerren schwere Boote auf den Strand, weit hinauf auf den Sand, viele Meter weg vom Meer. Dann breiten sie ihren Fang zum Trocknen auf blaue Plastikplanen aus, er besteht hauptsächlich aus kleinen Sardinen und Garnelen. Anschließend ordnen sie die leuchtend roten oder giftgrünen Plastiknetze und präparieren sie für die nächste Fahrt. Ihre Häuser stehen unter Palmen, sehen aber armselig aus und der eine oder andere deutet mit einer Geste an, dass er von dem Touristen, der ihn bei der Arbeit anstarrt und unaufhörlich fotografiert, Geld haben möchte. Kein Geld, dafür aber Kugelschreiber möchten die Schulkinder haben, die in ihren adretten Uniformen um vier Uhr nachmittags aus den Schulen strömen und sich um den auffälligen Fremden scharen, der mit dem Fahrrad die Hauptstrasse des endlos lang gestreckten Dorfes entlang fährt. Fast alle haben ausgesprochen schöne Gesichter mit ausdrucksstarken Augen. Sie lachen freundlich, winken schon von weitem und rufen „hello“.
Zurück zu meiner Zwischenbilanz. Schon der aller erste Eindruck von Indien, die Fahrt vom Flughafen zum Hotel in Chennai, dem früheren Madras, gab mir eine Vorstellung von dem, was mich in den nächsten Tagen ständig umbranden würde, der Straßenverkehr, den chaotisch zu bezeichnen, noch milde ausgedrückt ist. Unmassen an Autos, Motorrikschas – Tuk-tuks genannt, Motorrädern, Fahrrädern, Bussen, Lastern bewegen sich durch schmalen Straßen. Es wird ständig gehupt und gedrängt und auch die winzigste Möglichkeit zum Überholen wird nicht ausgelassen. In all dem Chaos ruhen die sprichwörtlichen heiligen Kühe. Sie schlendern unbeirrt durch das Gewühl, scheißen seelenruhig mitten auf die Straße und legen sich zum Wiederkäuen gern neben eine der unzähligen wilden Müllkippen. Sie bilden, zusammen mit den streunenden Hunden und den schwarzen Ziegen, die gemächlich die Straße überqueren, den Gegenpol zu dem hektischen, lärmenden Verkehr. Erstaunlicherweise habe ich bisher nur einen einzigen Unfall gesehen. In Madurai, einer Millionenstadt im Landesinneren, touchierte ein Motorradfahrer einen Laster und stürzte. Sofort stand er wieder auf, hob sein Fahrzeug hoch, ließ sich von einem herauseilenden Ladenbesitzer etwas Wasser auf die verschmutzten Hände gießen und fuhr weiter, nachdem er noch mit einem Polizisten gesprochen hatte, der gleichmütig hinzugekommen war, sich aber in keiner Weise amtlich um das Geschehen kümmerte.
Die zahllosen Läden entlang der Hauptstraße prägen das Bild jeder Stadt, die wir passieren, unterscheiden kann man diese Städte nicht. Kleine Läden mit offener Front, voll mit all den Dingen des täglichen Bedarfs, Plastikwaren, Lebensmitteln, Textilien, elektronischen Geräten. In Madurai ging ich durch Straßen, in denen sich eine kleine Reparaturwerkstatt an die andere reihte. Repariert wurden alte Lautsprecher, uralte Cassettenrekorder, verschmutze Videorekorder, Geräte, die man bei uns auf keinem Schrottplatz mehr findet. In der nächsten Straße saß ein Schneider neben dem anderen, die wohlhabenden in einem kleinen Kabuff, die ärmeren direkt auf dem Bürgersteig. Auch in Dörfern kann man Schneiderwerkstätten sehen, die nur aus einer Nähmaschine unter einem Baum bestehen, einfach so, im Freien, sonst nichts.
Bei der Fahrt über die Landstraßen sehe ich Bauern, die Mais zum trocknen auf die Straße geschüttet haben, der Verkehr wird einspurig an der mit goldgelben Körnern übersäten Fahrbahnhälfte vorbeigeführt. In anderen Dörfern legen die Bauern Ähren auf den Asphalt und benutzen die darüber fahrenden Autos als Dreschmaschinen. Im Schatten eines Baumes wuseln Hunderte von gelben Entenküken auf einer blauen Plastikplane. Der Schwarm weicht vor meinem Schatten synchron vor und zurück und stürzt sich dann auf die Körner, die der Besitzer hinschüttet. Entlang einer anderen Straße werden Cashewnüsse geröstet, geknackt, verpackt und verkauft. Sie sind für hiesige Verhältnisse relativ teuer, aber die Arbeit ist sehr mühsam bis sie verkaufsfertig sind. In einem anderen Dorf werden Ziegel in Handarbeit hergestellt und in großen, solide aussehenden, schilfbedeckten Häusern getrocknet. Die Hütten, in denen die Menschen wohnen, sehen viel schäbiger aus, zusammengeflickt, slumartig, aber mit Satellitenschüsseln und die Bewohner benutzen eifrig ihre Handys. Indien, das Land der prosperierenden IT-Industrie. Hält man an, um sich die Beine zu vertreten oder Bilder zu machen, kommen die Anwohner und sagen mantra-artig ihre Sprüche „What is your name, where are you from, how you like India, please pen, please rupie“. Andererseits ist der Süden und vor allem Kerala relativ wohlhabend und die Belästigungen sind erträglich. Elendsbildern von vor sich hin vegetierenden Gestalten, die auf dem Pflaster wohnen, begegnen mir nicht. Natürlich gibt es Bettler und ich sehe auch Menschen, die im Freien schlafen, die meisten übrigens vor und im Bahnhof von Madurai, direkt gegenüber von meinem Hotel. Es waren Reisende, die auf einen der endlos langen, indischen Züge warteten, die sie für ein Spottgeld quer durch den Kontinent fahren.
Eine andere Art des Fahrens, des langsamen Gleitens, des bedächtigen Schwimmens bietet ein Hausboot auf den Backwaters, dem ausgedehnten, labyrinthartigen Wassersystem an der Küste von Kerala. Viele, viele Kilometer Wasserstraße, verschlafene Dörfer, Leute, die gerade mal ein, zwei Meter von ihrem Hauseingang entfernt, am Kanal stehen und sich und ihren Hausrat waschen, an den Haltestellen der kleine Fähren albern Schüler herum, ein Fischhändler ist nur mit einem Schiff zu erreichen. Das Hausboot ist recht komfortabel, mit einem Dach aus geflochtenen Palmblättern, einem Schlafzimmer mit Waschraum und viel Platz im Salon, im Freien, direkt hinter dem Bootsführer, der unter einem Sonnenschirm sitzt. Genug Platz, weil ich der einzige Passagier bin, wieder einmal Indien de luxe. Das beschauliche, sanfte Gleiten, hinein in den goldroten Sonnenuntergang, das ausgezeichnete Essen, mit den an Bord zubereiteten Empfehlungen des Fischhändlers, dann die tiefdunkle Nacht, die schemenhaften Ruderboote, die ab und zu dicht vorbeigleiten, die schüchternen Rufe, dass etwas zum Kauf angeboten wird und schließlich noch fast die ganze Nacht ein entferntes Klingen, Trommeln und Singen, Musik die aus einem nachgelegenen Tempel herüberweht, das sind Eindrücke, denen man sich nicht entziehen kann. Indien zum Verlieben.
2. Von Alleppey nach Bangalore
Man fährt nach Indien wegen der Exotik, wegen der fremdartigen Bilder, der Menschen und auch wegen der Tempel. Die zahlreichen Tempel in diesem tiefreligiösen Land stellen ein gewaltiges kulturelles Erbe dar. Die berühmtesten sind sehr groß und haben Tempeltürme, die in der Regel bunt bemalt und mit bunten Skulpturen überladen sind. Für Nichthindus ist das Betreten des heiligsten inneren Bezirks verboten und man darf auch nicht von außen hinein fotografieren. Die lokalen Führer wurden ganz hibbelig, wenn ich auch nur meinen Fotoapparat anhob und in die verbotene Richtung deutete. Aber im Innersten ist es sowieso zu dunkel und man müsste blitzen. Es gibt genug sehenswerte Motive in den Höfen und Vorhallen mit ihren Granitsäulen, wenn zum Beispiel Strahlen gleißenden Sonnenlichts in das Halbdunkel fallen, auf die roten Saaris der Pilgerinnen. Und auch die Pilger auf dem Weg zu einem wichtigen Ayyappan-Tempel in Kerala sind ein dankbares Motiv. Dunkelhäutige Männer mit dunklen Tüchern um die Hüften und nackten Oberkörpern, mit hellen Streifen auf der Stirn. Es ist Pilgersaison, die Männer, es sind nur Männer, treten immer in Scharen auf und fahren mit blumengeschmückten Kleinbussen von Tempel zu Tempel. Als ich der ersten Gruppe begegne und meine Kamera vorsichtig hochhebe, in Erwartung auf strikte Ablehnung zu stoßen, bin ich überrascht, dass die meisten ganz wild darauf sind, fotografiert zu werden. Sie posieren, lachen, zerren ihre Kumpel vor die Kamera und kommentieren die Bilder auf dem Monitor. Auch Pilger sind nur neugierige Menschen und selbst die Bramanenpriester haben meist nichts dagegen aufgenommen zu werden. Ein weiteres touristisches Motiv sind die bemalten und geschmückten Tempelelefanten. Sie legen den Rüssel segnend auf den Kopf der Personen, die ihnen vorher eine Münze oder einen Schein zugesteckt haben. Soviel Aufmerksamkeit wie die Elefanten können die Kamele und die Ochsen, die für Prozessionen gebraucht werden, nicht erhaschen und auch die heiligen Kühe wirken neben den mächtigen Elefanten ziemlich profan.
Ganz und gar nicht profan, dafür höchst interessant sind die Bronzefiguren, Steinfiguren und Gemälde, die in Tempeln und Museen zu sehen sind. Bei ihrem Anblick wird einem das Alter und die Bedeutung der indischen Kultur und Religion bewusst, wie auch die Komplexität und Kompliziertheit der Götterwelt, einer Welt mit 30 Millionen Individuen. Nicht nur Pilger und Bramanen, auch Götter sind nur Menschen, aber mit großer Bedeutung für das irdische Leben der Millionen und Millionen. Für mich ist es erstaunlich und kaum zu begreifen, welchen Stellenwert die Religion hier spielt. Verzückt starren die Gläubigen auf eine Figur des beliebten, elefantenköpfigen Gottes Ganesh, der jeden Tag von den Priestern gewaschen, mit Milch und Mehl und wer weiß was überschüttet und dann festlich gekleidet wird. Ausrufe der Verzückung, wenn Fackeln oder Leuchter an den Gott hingehalten werden. Inbrünstig heben dieselben Menschen ihre Hände über den Kopf, die in ihrem Beruf die aufwändigsten EDV-Programme entwickeln, verzwickte logistische Aufgaben lösen oder mitwirken, die bemannte Raumfahrt, einen der nationalen Träume, vorzubereiten. Die vielhundertjährige, ungebrochene religiösen und sozialen Traditionen und die Angst vor den bekannten Gefahren des diesseitigen und die Furcht vor den unbekannten des jenseitigen Lebens sind nicht nur in Indien stärker als jede Aufklärung, stärker als der rationale Einsatz des eigenen Denkvermögens. Ich habe auf meiner Reise zahlreiche Tempel gesehen, bekannte und weniger bekannte und alle waren sehr beeindruckend, sowohl kunsthistorisch als auch wegen der Inabrunst der Besucher. Aus dieser Fülle seien erwähnt Kanchipuram, Mahabalipuram, Thanjavur, Trichy, Madurai, Chamundi Hill in Mysore und die Tempel bei Hassan.
Doch zurück ins Diesseits und zum Essen in Indien. Es gibt viele vegetarische Restaurants. Ein vegetarisches indisches Frühstück ist aber nicht jedermanns Sache, meine jedenfalls nicht. Ich erfreute mich danach sogar an einem leicht angebrannten Toastbrot mit bitterer Orangenmarmelade, very British, isn’t it? In einem typischen indischen Restaurant wird der Reis und die Soße und das Chutney auf Palmblättern serviert und mit den Fingern in den Mund geschoben. Fische und Meeresfrüchte sind ausgesprochen lecker, aber insgesamt kann die indische Küche mit der chinesischen nicht konkurrieren, nicht umsonst gilt diese als eine der besten der Welt. China hat noch einen Vorteil, dort ist es problemlos möglich ein Bier zu bekommen. In der Millionenstadt Madurai gibt es nur in den wenigen großen Hotels Bier. Im Royal Court, in dem ich übernachtete und das auch eines der großen ist, gab es keines. Das Hotel wird von Moslems betrieben.
Letzte Station in Kerala war Kochin, eine Stadt mit großer historischer Tradition. Die Portugiesen waren hier, auch die Holländer, Juden kamen schon sehr früh und bauten eine Synagoge, die immer noch in Funktion ist, obwohl die meisten Gemeindemitglieder mittlerweile nach Israel zurückgekehrt sind. Die ersten Christen sollen, angeführt von dem Apostel Andreas, sogar schon kurz nach dem Tod Christi nach Kochin an die Malabarküste gekommen sein. Und den Einfluss der Chinesen sieht man an der allgegenwärtigen Fischereitechnik mit gewaltiger, stationärer Netze. Sie sind eine Touristenattraktion, aber sie werden bei weitem nicht nur für die Touristen betrieben. Diese Netze sieht man bei einer sehr empfehlenswerten Hafenrundfahrt an vielen Stellen.
Kerala habe ich noch vor Sonnenaufgang verlassen. Angeblich würde ein Generalstreik am nächsten Tag das Land lahm legen und möglicherweise könnten auch die Ausfallstraßen blockiert werden. Die Kommunisten, die jahrelang die Regierung stellten, jetzt aber abgewählt worden waren und deren rote Fähnchen und Wahlplakate mit Marx, Engels und Lenin allgegenwärtig sind, sind mit den Taten ihrer Nachfolger nicht einverstanden. So erfolgte die Rückkehr in den Bundesstaat Tamil Nadu schon am frühen Vormittag und die Fahrt auf die nebelumwaberten Höhen der Western Ghats, der Nilgiris, am frühen Nachmittag. Die Fahrt zur kühlen „hill station“, der Sommerfrische der Engländer, war spektakulär. Steile Täler, viele Wasserfälle und noch mehr Nebel. Im Zentrum von Coonoor tauchten Gestalten aus dem Nebel auf und verschwanden nach ein paar Metern wieder. Von Coonoor fährt eine Schmalspurbahn mit Dampflokomotive nach Ooty. Die Bahn ist nicht etwa nur ein Touristenvergnügen, wie die Nostalgiebahnen bei uns, nein, die railway ist für die Versorgung und den Personentransport zuständig und oft voll ausgebucht. Die Lokomotive, schnaufend, keuchend, dampfend befindet sich am Zugende und schiebt die Waggons vor sich her. An der Zugspitze und in jedem Wagen ist ein Zugbegleiter in Uniform, der mit roten und grünen Flaggen und, nachdem es dunkel wurde, mit einer Taschenlampe an allen wichtigen Stellen, an Kurven, Brücken, Tunnels und an den Haltestellen Signale zum Lokführer senden. Ooty ist schön gelegen und der botanische Garten stammt, wie so vieles was in Indien gut funktioniert, von den Engländern. Die Fahrt auf den höchsten Berg Südindiens war dagegen ein Flop. Von dem gepriesenen Telescop aus, beileibe kein Fernrohr sondern ein Aussichtspunkt, konnte man den undurchdringlichen Nebel aus höchster Höhe bewundern. Aber das Teleskop stand nun mal auf dem Reiseplan und der ist heilig. Im Zimmer, des gewaltigen, aber etwas antiquiert anmutenden Hotels waren ein Heizlüfter und warme Decken sehr willkommen und das in Südindien.
Auf der weiteren Fahrt nach Mysore durchquert man ein Naturreservat. Es nennt sich Tiger Sanctuary, aber hier gibt es keine Tiger, dafür Elefanten, auf denen man reiten kann. Neben und auf der Straße tummeln sich zahlreiche Affen. Als wir halten, um die Milch einer Kokosnuss zu trinken, eine köstliche Erfrischung, stibitzen sie die geöffneten Schalen und fressen begierig das Fruchtfleisch. An den Seilen der Benjinbäume hangeln sie sich hoch, auf den Planen der geparkten Laster tummeln sie sich, verstecken sich hinter den großen Reifen und kopulieren zwischendurch, wann immer sie die Fleischeslust überkommt. Kurz vor Mysore wage ich es, ein indisches Dorf zu besuchen. Es ist insofern ein Wagnis als man in kürzester Zeit von schreienden, hüpfenden Kindern umgeben ist, die alle pen pen schreien und einen keine Sekunde mehr allein lassen. Eine hocherfreute Dorflehrerin ist über die Abwechslung einen Fremden im Dorf zu sehen, sehr angetan und serviert mir, von zahlreichen Schulkindern umringt, eine Tasse Kaffee. In Südindien trinkt man vorzugsweise Kaffee und keinen Tee, obwohl der Tee, der zum Beispiel bei Ooty wächst, sehr gut schmeckt, wie ich mich im dortigen „Teemuseum“, das einer „Teefabrik“ angeschossen ist, überzeugen konnte.
Mysore ist das Heidelberg Indiens. Viel Tradition, viele schöne Ecken, aber heute ohne allzu große Bedeutung. Die Hauptstadtfunktion des Staates Karnataka hat die Stadt schon lange an Bangalore verloren. Der Palast des Maharadschas ist das beherrschende Gebäude, aber anders als das Heidelberger Schloss, wurde der Palast erst im 19. Jahrhundert gebaut und ist eigentlich recht uninteressant, wenn man von den Gemälden absieht, die Pomp und Pracht der Maharadschas eindrucksvoll zeigen. Das interessanteste an dem Palast war das Elefantenbad. Bei meinem frühmorgentlichen Spaziergang lotste mich ein Polizist, in typischer Kakiuniform, mit Safarihut und Gewehr über der Schulter, in den Palastgarten. Dort lagen ein halbes Dutzend Elefanten in einem Bassin und wurden von ihren Mahuts gepflegt. Die Mahuhts, der Polizeilotse und sein Chef wollten anschließend alle einen ordentlichen Backschisch und waren sichtlich enttäuscht, als er nicht ganz so üppig ausfiel wie erwartet. Viel schöner als der Palast ist das Museum der Universität mit einer Fülle erlesener Kunstwerke und auch der Tempel auf dem Chamundi Hill ist einen Besuch wert. Nicht nur wegen der Aussicht. In den Pilgermassen fielen mir Frauen und Mönche aus Tibet in ihren typischen Kleidern auf. Sie freuten sich über mein taschi delek, dem tibetischen Guten Tag, dem einzigen Wort, das wir gemeinsam verstanden. Und auch der Zoo von Mysore, mal etwas anderes als die ewigen Tempel, war ein Erlebnis und einen Besuch wert. Ein Mahout führt vor, was seine Elefanten können, ein frecher Affe versucht zwei hübschen Norwegerinnen, die zu einem Yogakurs nach Mysore gekommen waren, ihr Eis am Stil zu klauen. Die einzige Enttäuschung, der bengalische Königstiger, das einzige Exemplar des Zoos, döste im Schatten und rührte sich nicht.
Letzte Station vor Bangalore war Hassan, eine staubige Stadt nördlich von Mysore. Der Ort selbst ist insofern interessant, als er sehr durchschnittlich, sehr ländlich, vermutlich sehr typisch ist, aber in seiner Umgebung befinden gibt es einige wirklich phantastische Tempel. In Belur häufen sich wunderschöne, sehr feine Skulpturen. In Halebid liegt eine der größten Statuen von Shivas Reittier, dem Stier Nandi. Und in Sharvanabelgora sieht man schon von weitem eine kolossale Statue auf einem steilen Felsen. Es ist die größte monolithische Statue der Welt und zeigt Bahubali, einen Zeitgenossen Buddhas und Begründer der Jainrelgion. Die Jain sind sehr konsequente Vegetarier, deren oberstes Lebensprinzip die Gewaltlosigkeit ist. Sie dürfen keinen Ackerbau betreiben, weil sie beim pflügen Regenwürmer töten könnten. Dafür haben sie sich voll auf den Handel geworfen, leben in Städten, sind gebildet und wohlhabend. Ihre Tempel haben mir gut gefallen, nicht zuletzt, weil ich überall ungestört fotografieren konnte.
Den Abschluss der Reise bildete Bangalore, die Hauptstadt von Karnatakar. Es ist eine moderne Stadt, ein Symbol des neuen, heutigen Indiens, sehr westlich, sehr erfolgreich, mit Einkaufsmalls, mit genau denselben internationalen Markenshops wie bei uns und vielen Filialen der großen, weltbekannten lT-Firmen, das indische Silikon-valley. Die Leute hier haben eine natürliche Begabung für Zahlen, sind gut ausgebildet und können gut Englisch. In der großzügig angelegten, sehr grünen Stadt war für mich neben dem wunderschönen botanischen Garten, der Turfclub, also die Pferderennbahn, gleich neben meinem Hotel, der Höhepunkt. Obwohl kein Renntag, war der Turfclub voller Menschen, sie starrten auf Bildschirme und wetteten auf die Pferde, die ein paar Hundert Kilometer entfernt, in Hyderabad an den Start gingen. Einer der Wetter war sehr erfreut, als ich Bilder von ihm machte und lud mich zu einer Buttermilch ein. Ein letzter schöner Eindruck von Indien.